Andreas Löhrer literarische Übersetzungen |
aktualisiert am 11.11.2024 |
Nanni Balestrini: Der Verleger
sie saß auf dem Bett und blätterte in ihrer Zeitschrift das Nachthemd war auf einer Seite leicht verrutscht und
zeigte wo die warme Bräune ihrer Haut in das Weiß der Brust überging sie hatte die Arme über der Decke
eine Hand war über die Bettkante gerutscht und baumelte herunter als er sich näherte drehte sie die Handfläche
dieser Hand in einer ungewollten Geste nach oben vielleicht war sie irritiert doch war die Bewegung wie eine unbewußte
Aufforderung oder besser sie schien auf einmal all die alten Bitten die geheime bizarre Pantomime der Zärtlichkeit der
unaussprechlichen Treue und der ewigen Hoffnungen ihrer Ehe zusammenzufassen
du solltest weniger trinken sagt sie und erhebt sich von dem engen Bett auf dem sie diese Nacht unter dem Poster des Che
geschlafen hatten gestern abend warst du total betrunken bist du dir eigentlich bewußt daß dich dieser
Scheißkerl beinahe verprügelt hätte wenn wir nicht dazwischen gegangen wären um euch zu trennen eine
lächerliche Szene mit festem Schritt durchquert sie das Zimmer und geht zum Fenster es ist nicht nötig daß
du jetzt ein beleidigtes Gesicht aufsetzt sicher normalerweise hättest du ihn verprügelt aber gestern abend warst
du nicht normal du konntest dich kaum noch auf den Beinen halten sie öffnet das Fenster das Tageslicht tritt ins Zimmer
die Geräusche die Gerüche des Lands füllen das Zimmer was für ein lächerliches und peinliches
Schauspiel Männer die ihre Aggressivität austoben ich hoffe daß das nicht auch der Grund ist warum ihr
Politik macht sagt sie und geht ins Bad um zu duschen er schlägt das Buch wieder auf
der Konsul strich ein Zündholz an um die Zigarette anzuzünden die er noch gar nicht zwischen den Lippen hielt
nach einem Weilchen war das Zündholz abgebrannt und er steckte die Zigarette in die Tasche eine Zeitlang saßen
sie einander gegenüber wie zwei stumme sprachlose Festungen das immer noch ins Schwimmbecken tröpfelnde Wasser
mein Gott wie tödlich langsam füllte das Schweigen zwischen ihnen da war noch ein anderes Geräusch der Konsul
bildete sich ein noch immer die Musik des Balles zu hören der längst zu Ende sein mußte so daß die
Stille wie von abgestandenen Trommelschlägen durchdrungen wurde
die Journalistin ruft an sie war gerade in der Redaktion angekommen und teilt mit daß Hunderte Durchsuchungen im Gange
sind daß bereits zig Haftbefehle gegen Militante und Sympathisanten erlassen wurden daß das Klima paranoid ist
daß die Zeitungen wie erwartet furchtbare Dinge geschrieben haben und daß die Autopsie des Leichnams die heute
stattfinden soll mit Spannung erwartet wird und die Ursachen der Explosion und des Todes aufklären soll
schließlich verlangt sie den Blonden zu sprechen der einsilbig antwortet und achselzuckend auflegt
als das Telefon klingelte blieb ihm fast das Herz stehen das Telefon klingelte wirklich ganz deutlich und der Konsul ging
von der Terrasse ins Speisezimmer aus Angst vor dem wütend klingelnden Apparat sprach er erst in den Hörer dann
schwitzend und überstürzt in die Sprechmuschel denn es war ein Ferngespräch ohne zu wissen was. er sagte er
hörte seine gedämpfte Stimme ganz deutlich verwechselte aber dessen Fragen mit seinen eigenen Antworten jeden
Augenblick voll Angst dass sich siedendes Öl in sein Trommelfell oder seinen Mund ergießen könnte
zu Mittag gibt es den Hasen es ist nicht die beste Zeit für Hase sagt der Comandante die beste Zeit ist im Winter aber
dieser hier ist jung und zart außerdem brät ihn meine Frau an bevor sie ihn drei Stunden lang in der Marinade
kocht in der er die ganze Nacht über gelegen hat sie gießt dann die Flüssigkeit weg zusammen mit dem Fett
;und dann gegen Schluß gibt sie die Leber und die ganzen fein gehackten Innereien dazu zusammen mit zwei drei
Löffeln Blut vom Hasen wir bestätigen alle daß er gut schmeckt dieser Hasensalmi mit Polenta daß er
wirklich ausgezeichnet war und wir lassen uns von der Frau des Comandante erklären wie sie die Marinade macht
sie bereitet sie aus einer Flasche Barbera zwei zerdrückten Knoblauchzehen einer mit ein paar Gewürznelken
gespickten Zwiebel Karotten und Sellerie gewürfelt ein paar Pfefferkörnern jeweils einem halben Löffel
getrockneten Thymian und Majoran einem zerkleinerten Lorbeerblatt drei Salbeiblättern und sechs Wacholderbeeren am
Tisch sind sie und ich mit dem Comandante und seiner Frau außerdem ist da noch der Blonde der geblieben ist
während der kleine anmaßende Leader zusammen mit der Journalistin in die Stadt zurückgekehrt ist weil es an
der Statale eine Versammlung gab und er hat uns noch ein bißchen scheel angeschaut sie und mich weil wir nicht
ebenfalls zu der Versammlung gingen dann kam noch der Buchhändler und vielleicht noch jemand anderes aber diese
Personen werden wir für eine spätere Szene brauchen hier sehen wir sie die jetzt etwas weniger aggressiv ist und
auch ich fühle mich etwas besser und erzähle von dem Erlebnis mit dem Verleger auf seinem Schiff
das Meer war schrecklich und mir ging es damals sehr schlecht weil ich unter Seekrankheit leide ich glaubte sterben zu
müssen bei unserer Rückkehr passierte dann die Geschichte mit dem Anlegemanöver dem alle von der Mole aus
zusehen sie beurteilen mit welchem Manöver jemand in den Hafen einläuft mit dem Motor einzulaufen ziemt sich nicht
für einen richtigen Seemann der Verleger fuhr ohne Motor mit vollen Segeln in den Hafen dann hat er gewendet und auf
einen Schlag die Segel eingeholt während das Schiff in voller Fahrt direkt auf die Mole zusteuerte noch ein Augenblick
dann muß der Motor im Rückwärtsgang gestartet werden um das Schiff zu stoppen das sonst an der Mole
zerschellen würde ich stand in seiner Nähe am Ruder und an einem bestimmten Punkt hat er den Starterknopf
gedrückt aber der Motor sprang nicht an noch einmal nichts die Mole war jetzt nur noch wenige Meter entfernt es wird an der Mole zerschellen dachte ich aber beim dritten Mal sprang der Motor an und wir stoppten als das Vorschiff die Mole schon fast berührte der Verleger war die ganze Zeit über unbeweglich geblieben und die Leute auf der Mole die nichts davon mitbekommen hatten beklatschten das schöne Anlegemanöver da frage ich sie sie machte einen etwas gelangweilten Eindruck da sie die Geschichte schon einige Male von mir gehört hatte ich frage sie an was erinnerst du dich beim Verleger? sie verzieht das Gesicht ich weiß es nicht ich kann mich an nichts mehr erinnern jetzt schien sie genervt und sagte ich erinnere mich daß er Fingernägel kaute ich erinnere mich daß er mich damals als wir eine Reise machten nie aus dem Auto steigen ließ um zu pinkeln da er nie anhalten wollte aus: Nanni Balestrini: Der Verleger. Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg 1992mit freundlicher Genehmigung der Assoziation A nach oben |
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