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Andreas Löhrer   
literarische Übersetzungen    
aktualisiert am 10.4.2024    

Nanni Balestrini: Der Verleger

Achte Szene

 

sie saß auf dem Bett und blätterte in ihrer Zeitschrift das Nachthemd war auf einer Seite leicht verrutscht und zeigte wo die warme Bräune ihrer Haut in das Weiß der Brust überging sie hatte die Arme über der Decke eine Hand war über die Bettkante gerutscht und baumelte herunter als er sich näherte drehte sie die Handfläche dieser Hand in einer ungewollten Geste nach oben vielleicht war sie irritiert doch war die Bewegung wie eine unbewußte Aufforderung oder besser sie schien auf einmal all die alten Bitten die geheime bizarre Pantomime der Zärtlichkeit der unaussprechlichen Treue und der ewigen Hoffnungen ihrer Ehe zusammenzufassen

du solltest weniger trinken sagt sie und erhebt sich von dem engen Bett auf dem sie diese Nacht unter dem Poster des Che geschlafen hatten gestern abend warst du total betrunken bist du dir eigentlich bewußt daß dich dieser Scheißkerl beinahe verprügelt hätte wenn wir nicht dazwischen gegangen wären um euch zu trennen eine lächerliche Szene mit festem Schritt durchquert sie das Zimmer und geht zum Fenster es ist nicht nötig daß du jetzt ein beleidigtes Gesicht aufsetzt sicher normalerweise hättest du ihn verprügelt aber gestern abend warst du nicht normal du konntest dich kaum noch auf den Beinen halten sie öffnet das Fenster das Tageslicht tritt ins Zimmer die Geräusche die Gerüche des Lands füllen das Zimmer was für ein lächerliches und peinliches Schauspiel Männer die ihre Aggressivität austoben ich hoffe daß das nicht auch der Grund ist warum ihr Politik macht sagt sie und geht ins Bad um zu duschen er schlägt das Buch wieder auf

der Konsul strich ein Zündholz an um die Zigarette anzuzünden die er noch gar nicht zwischen den Lippen hielt nach einem Weilchen war das Zündholz abgebrannt und er steckte die Zigarette in die Tasche eine Zeitlang saßen sie einander gegenüber wie zwei stumme sprachlose Festungen das immer noch ins Schwimmbecken tröpfelnde Wasser mein Gott wie tödlich langsam füllte das Schweigen zwischen ihnen da war noch ein anderes Geräusch der Konsul bildete sich ein noch immer die Musik des Balles zu hören der längst zu Ende sein mußte so daß die Stille wie von abgestandenen Trommelschlägen durchdrungen wurde

die Journalistin ruft an sie war gerade in der Redaktion angekommen und teilt mit daß Hunderte Durchsuchungen im Gange sind daß bereits zig Haftbefehle gegen Militante und Sympathisanten erlassen wurden daß das Klima paranoid ist daß die Zeitungen wie erwartet furchtbare Dinge geschrieben haben und daß die Autopsie des Leichnams die heute stattfinden soll mit Spannung erwartet wird und die Ursachen der Explosion und des Todes aufklären soll schließlich verlangt sie den Blonden zu sprechen der einsilbig antwortet und achselzuckend auflegt

als das Telefon klingelte blieb ihm fast das Herz stehen das Telefon klingelte wirklich ganz deutlich und der Konsul ging von der Terrasse ins Speisezimmer aus Angst vor dem wütend klingelnden Apparat sprach er erst in den Hörer dann schwitzend und überstürzt in die Sprechmuschel denn es war ein Ferngespräch ohne zu wissen was. er sagte er hörte seine gedämpfte Stimme ganz deutlich verwechselte aber dessen Fragen mit seinen eigenen Antworten jeden Augenblick voll Angst dass sich siedendes Öl in sein Trommelfell oder seinen Mund ergießen könnte

zu Mittag gibt es den Hasen es ist nicht die beste Zeit für Hase sagt der Comandante die beste Zeit ist im Winter aber dieser hier ist jung und zart außerdem brät ihn meine Frau an bevor sie ihn drei Stunden lang in der Marinade kocht in der er die ganze Nacht über gelegen hat sie gießt dann die Flüssigkeit weg zusammen mit dem Fett ;und dann gegen Schluß gibt sie die Leber und die ganzen fein gehackten Innereien dazu zusammen mit zwei drei Löffeln Blut vom Hasen wir bestätigen alle daß er gut schmeckt dieser Hasensalmi mit Polenta daß er wirklich ausgezeichnet war und wir lassen uns von der Frau des Comandante erklären wie sie die Marinade macht

sie bereitet sie aus einer Flasche Barbera zwei zerdrückten Knoblauchzehen einer mit ein paar Gewürznelken gespickten Zwiebel Karotten und Sellerie gewürfelt ein paar Pfefferkörnern jeweils einem halben Löffel getrockneten Thymian und Majoran einem zerkleinerten Lorbeerblatt drei Salbeiblättern und sechs Wacholderbeeren am Tisch sind sie und ich mit dem Comandante und seiner Frau außerdem ist da noch der Blonde der geblieben ist während der kleine anmaßende Leader zusammen mit der Journalistin in die Stadt zurückgekehrt ist weil es an der Statale eine Versammlung gab und er hat uns noch ein bißchen scheel angeschaut sie und mich weil wir nicht ebenfalls zu der Versammlung gingen dann kam noch der Buchhändler und vielleicht noch jemand anderes aber diese Personen werden wir für eine spätere Szene brauchen hier sehen wir sie die jetzt etwas weniger aggressiv ist und auch ich fühle mich etwas besser und erzähle von dem Erlebnis mit dem Verleger auf seinem Schiff

das Meer war schrecklich und mir ging es damals sehr schlecht weil ich unter Seekrankheit leide ich glaubte sterben zu müssen bei unserer Rückkehr passierte dann die Geschichte mit dem Anlegemanöver dem alle von der Mole aus zusehen sie beurteilen mit welchem Manöver jemand in den Hafen einläuft mit dem Motor einzulaufen ziemt sich nicht für einen richtigen Seemann der Verleger fuhr ohne Motor mit vollen Segeln in den Hafen dann hat er gewendet und auf einen Schlag die Segel eingeholt während das Schiff in voller Fahrt direkt auf die Mole zusteuerte noch ein Augenblick dann muß der Motor im Rückwärtsgang gestartet werden um das Schiff zu stoppen das sonst an der Mole zerschellen würde ich stand in seiner Nähe am Ruder und an einem bestimmten Punkt hat er den Starterknopf gedrückt aber der Motor sprang nicht an noch einmal nichts

die Mole war jetzt nur noch wenige Meter entfernt es wird an der Mole zerschellen dachte ich aber beim dritten Mal sprang der Motor an und wir stoppten als das Vorschiff die Mole schon fast berührte der Verleger war die ganze Zeit über unbeweglich geblieben und die Leute auf der Mole die nichts davon mitbekommen hatten beklatschten das schöne Anlegemanöver da frage ich sie sie machte einen etwas gelangweilten Eindruck da sie die Geschichte schon einige Male von mir gehört hatte ich frage sie an was erinnerst du dich beim Verleger? sie verzieht das Gesicht ich weiß es nicht ich kann mich an nichts mehr erinnern jetzt schien sie genervt und sagte ich erinnere mich daß er Fingernägel kaute ich erinnere mich daß er mich damals als wir eine Reise machten nie aus dem Auto steigen ließ um zu pinkeln da er nie anhalten wollte

aus: Nanni Balestrini: Der Verleger. Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg 1992
mit freundlicher Genehmigung der Assoziation A

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