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Andreas Löhrer   
literarische Übersetzungen    
aktualisiert am 20.3.2024    

Luca Baranelli/ Ernesto Ferrero: Album Calvino

"Biographisches oder auch nur die persönlichen Daten sind das Privateste, was man hat, und sie preiszugeben, ist so ähnlich, wie sich einer Psychoanalyse zu unterziehen. (Zumindest glaube ich das: Ich habe nie eine Analyse gemacht).
Ich beginne damit, daß ich im Sternzeichen Waage geboren bin: deshalb korrigieren Ausgeglichenheit und Unausgeglichenheit in meinem Charakter gegenseitig ihre Exzesse. Ich wurde geboren, als meine Eltern nach Jahren in der Karibik gerade wieder in ihre Heimat zurückkehrten: daher rührt meine geographische Instabilität, weswegen ich ständig ein Anderswo ersehne.
Das Wissen meiner Eltern umfaßte das Reich der Pflanzen, ihre Wunder und Tugenden. Ich, angezogen von einer anderen Vegetation, den geschriebenen Sätzen, kehrte dem, was sie mir hätten beibringen können, den Rücken; aber das Wissen über den Menschen blieb mir ebenso fremd.
Von meiner Kindheit bis zur Jugend wuchs ich in einer Stadt an der Riviera auf, die in ihrem Mikroklima aufgehoben war. Sowohl das in einem Golf gefaßte Meer als auch das dichte Gebirge erschienen mir beruhigend und schützend; von Italien trennte mich das schmale Band einer Küstenstraße, von der Welt die nahe Grenze. Aus dieser Schale herauszukommen bedeutete für mich, mein Geburtstrauma zu wiederholen, doch das wird mir erst jetzt klar. Als jemand, der in den Zeiten der Diktatur aufwuchs und im wehrdienstfähigen Alter vom totalen Krieg überrascht wurde, blieb mir der Gedanke, daß das Leben in Frieden und in Freiheit ein zerbrechliches Glück ist, das mir vom einen auf den anderen Moment wieder genommen werden könnte.
In dieser Bedrängnis nahm die Politik einen vielleicht übermäßigen Teil der Sorgen meiner Jugend ein. Ich sage, für mich übermäßig, für das, was ich an Nützlichem hätte geben können, während Dinge, die von der Politik entfernt schienen, als Einfluß auf die (auch politische) Geschichte der Menschen und der Länder viel mehr zählen.
Kaum war der Krieg zu Ende, vernahm ich den Ruf der Großstadt, der stärker war als meine Verwurzelung in der Provinz. So kam es, daß ich eine Zeitlang zwischen Mailand und Turin schwankte: die Entscheidung für Turin hatte gewiß ihre Gründe und war nicht ohne Folgen: heute habe ich sowohl die einen wie die anderen vergessen, doch jahrelang sagte ich mir, hätte ich Mailand gewählt, wäre alles anders gekommen.
Bald versuchte ich mich in der Kunst des Schreibens; veröffentlichen fiel mir leicht; ich fand sofort Verständnis und Anklang, aber ich brauchte eine Weile, bis mir das klar wurde und ich mich auch überzeugte, daß dies kein Zufall war.
Da ich in einem Verlag arbeitete, habe ich den Büchern der anderen mehr Zeit gewidmet als meinen eigenen. Das bedauere ich nicht: alles, was insgesamt einem zivilen Zusammenleben dient, ist gut verwendete Energie. Von Turin aus, einer ernsten, aber traurigen Stadt, führte es mich oft und leicht nach Rom. (Übrigens sind die Turiner die einzigen Italiener, die ich nicht negativ über Rom haben sprechen hören). Und so wird Rom vielleicht die italienische Stadt sein, in der ich am längsten gelebt habe, ohne mich jemals nach dem Grund zu fragen.
Der ideale Ort für mich ist der, an dem es am natürlichsten ist, als Fremder zu leben: deshalb ist Paris die Stadt, in der ich geheiratet, einen Hausstand gegründet und eine Tochter großgezogen habe. Auch meine Frau ist eine Fremde: zu dritt sprechen wir drei verschiedene Sprachen. Alles kann sich ändern, aber nicht die Sprache, die wir in uns tragen, nein, die uns in sich trägt als eine Welt, ausschließlicher und endgültiger als der Mutterleib.
Ich merke, ich habe mich in dieser Autobiographie vor allem über meine Geburt ausgelassen und von den nachfolgenden Phasen wie von einer Fortsetzung des auf die Welt Kommens gesprochen, und jetzt neige ich sogar dazu, noch weiter zurückzugehen, in die Welt vor meiner Geburt. Dies ist das Risiko, das jede Autobiographie eingeht, die als Erforschung der Ursprünge angelegt ist, wie die von Tristram Shandy, der sich über die Vorgeschichte ausläßt und als er an den Punkt kommt, an dem er beginnen sollte, sein Leben zu erzählen, nichts mehr zu sagen weiß." (1980)

aus: Luca Baranelli/ Ernesto Ferrero: Album Calvino. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2013
mit freundlicher Genehmigung des S. Fischer Verlags

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